Corona hat eine intensive Debatte über Sinn und Unsinn der Kunst angestoßen. In Foren waren angesichts der konkreten Not von Kunstschaffenden Phrasen wie „man kann ja Künstler sein, muss aber selber schauen, wie man überlebt …“ und Forderungen nach einer allgemein verständlichen und gefälligen Kunst zu finden. Weil, wozu bezahlen, was irritiert?
Gerade Österreich mäandert hier auf interessante Weise zwischen einer millionenschwer geförderten Hochkultur (Wolferl! Salzburg! Die Burg!), einem ebenso finanzkräftigen Volksmusiksektor und einer ganz vielfältigen freien Szene in allen Qualitätslagen herum. All das auf den kulturellen Ruinen des dritten Reichs, die in der Pädagogik da und dort bis heute ihr Unwesen treiben, und wo Kunst immer noch dumpf als „entartet“ empfunden werden kann.
Wir sind zwar Kunstschaffende, aber wir können unmöglich wissen, wie sich die ganze Kulturszene Österreichs zu gestalten hat. Möge unsere neue Staatssekretärin, Frau Mayer, hier gute Antworten finden. Was für uns stimmig und wichtig ist, ist die Funktion von Kunst in vielen Formen als zündender Funke für den menschlichen Geist. Es passiert etwas in uns, wenn wir musizieren, gutes Theater sehen, wenn wir malen, uns in eine Skulptur versenken – oder uns an unverständlichen Installationen abarbeiten.
Nur: Damit etwas passiert, braucht es einen Empfänger im Menschen. Wir müssen die Frequenz einrichten und variieren können, mit der Kunst unser Sein berührt. Ohne eine Auseinandersetzung mit Jazz (neuerdings von „Hobbycombos“ gespielt), wird nur Soundbrei aufs Ohr treffen. Ohne ein Gefühl für aktuelle Entwicklungen in der Malerei kommt der „mein-dreijähriger-Neffe-kann-das-auch“ – Kommentar, wie das Amen im Gebet.
Kunst und Kultur als Sprache und Ausdrucksform muss aktiv und von klein auf weiter gegeben, erlernt, geteilt, geübt werden. Das findet in kleinen Biotopen durchaus statt, oft mit einem Übermaß an Förderung und narzisstischem Aufplustern. An der Mehrheit geht die Herrschaftssprache Kunst seit langem deutlich vorbei – und in Schulen wird das Budget für künstlerische Zeit weniger und weniger. Zufall?
Wir sehen die Kunst ganz ohne Rüscherln und Marketingsprech – und unter vielem anderen – als Lagerfeuer. Seit ewigen Jahrtausenden sind wir um die Flammen gesessen, haben Geschichten erfunden und gehört, Rhythmen auf Mammutschulterblätter geklopft, unsere Gewänder bestickt, Pantomimen aufgeführt. Ohne das „Was wäre, wenn …“ der Kunst – wer weiß, vielleicht würden wir als Spezies noch immer Mehl zwischen Steinen verreiben und zu Fuß von A nach B gelangen (also von Hügelkamm nach Flußbiegung, weil Schrift???).
Und jetzt? Wohl zum ersten Mal, seit es Menschenkultur gibt, steht der aktive, körperlich geteilte Fluss der Kunst für Wochen still. Weltweit! Es gibt keine direkten gemeinsamen Erlebnisse, keine schwitzenden Konzerte, keine schnaufenden Schauspieler, wir malen allein, üben allein an den Instrumenten. Ein wenig kam von den Balkonen, das ist auch schon eine Weile her.
So flackert das Lagerfeuer unter Mühen zweidimensional in den Bildschirmen – wie ein Loop vom Kaminfeuer. Schon Feuer, aber nicht ganz so. (Kein Geruch, keine Energie, kein Holz hereintragen. Keine Wärme!) Aus der Medienwelt wird die Kunst in toto zudem meist gratis und in unüberschaubaren Haufen aus Museen, Kabarett, Theater, Konzerten, vor die KonsumentInnen geschaufelt – das hat viele Aspekte und unter anderem schon die Musikschaffenden ruiniert.
Also nein. Web-Kunst ist – wie ein Bild vom Lagerfeuer – eine gute Erinnerung an das Echte. (Mehr wird MENSCH. UND JETZT. online zugegebenermaßen auch nicht können.) Und alle haben natürlich die Freiheit, in diesen überaus interessanten Zeiten damit zufrieden zu sein. Aber wer durch die leeren abendlichen Straßen Wiens geht, wird wohl ein wenig vom veranstaltungslosen Trübsinn spüren. Ein Leben ohne gemeinsames Lagerfeuer ist möglich, aber freudlos. Und was an Fantasie aktiv bleibt, fließt dann vielleicht in abstruse Verschwörungstheorien. Oder Katastrophenszenarien. Oder Märchenwelten. Noch freudloser.
Was macht ein Leben ohne Lagerfeuer also politisch mit uns? Wo bleibt der Diskurs, der den Menschen und seinen Geist, seine Beziehungen, seine Intrigen und seine Großherzigkeit, seine Schönheit und seine Alpträume, seine Geschichte, seine Zukunft, in den Mittelpunkt stellt? In den Händen der Filmindustrie? In Konzernhänden? In den Händen einiger Milliardäre, die vor lauter Reichtum schon den Verstand verloren haben?
Machen wir in echt im echten Leben echt gute Kunst, was immer das für jeden von uns bedeuten mag. Hören, spielen, tanzen, erleben, zeichnen, (malen, formen), erträumen, ausdrücken, schreiben: Das wichtige Wort ist nicht Kunst, sondern machen! Und echt! Und ob’s bezahlt wird, oder nicht – Hauptsache, wir erhalten das Feuer.
make good art – Ja, zum trillionsten Mal, dafür im längeren Original by Mr. Gaiman
Kluger Text zur Kunst in Österreich von Hosea Ratschiller
Interview mit Elizabeth Gilbert über das Schöpferische Autorin von „Eat, Pray, Love“ and „Big Magic“ – sehr gut und empfehlenswert